Den Einzelnen sehen
Syrische Flüchtlinge im Libanon, Teil 3
Angesichts der großen Not dieser syrischen Zeltbewohner bin ich vollkommen überwältigt. Es sind so viele. So viele verzweifelte Menschen, denen es am Nötigsten fehlt. So viele Babys und Kleinkinder. Ob sie die Möglichkeit haben werden, eine Schule zu besuchen und einen Beruf zu erlernen? Wie wird ihre Zukunft aussehen?
Das Problem ist unfassbar groß. Politiker und Staatschefs haben keine Lösung. Am einfachsten wäre es wegzusehen, und die Eindrücke möglichst schnell zu vergessen.
Lange beschäftigt mich die Frage, wie diesen vielen Menschen geholfen werden kann. Wenn das Problem so groß ist, müssen doch die Regierungen und großen humanitären Organisationen eine Lösung finden, oder? Was sollte man sonst tun, als darauf zu warten?
Worte von Mutter Theresa helfen mir eine Lösung für diese Fragen zu sehen. Sie zeigen mir, worauf ich meinen Blick richten muss.
“I never look at the masses as my responsibility; I look at the individual. I can only love one person at a time – just one, one, one. So you begin.”
Auf Deutsch, „Ich sehe niemals die Massen als meine Verantwortung; ich sehe den Einzelnen. Ich kann nur einen Menschen auf einmal lieben – nur einen, einen, einen. Also beginnt man.“
Das erinnert an den mutigen Jungen, der einen Seestern nach dem anderen zurück ins Meer wirft. Wenn er auch nicht alle retten kann, macht sein Einsatz für jeden einzelnen Seestern einen Unterschied.
Eine Heldin
Genau das macht Izdihar Kassis, eine Syrierin, die mit einem Libanesen verheiratet ist und schon lange im Libanon lebt. Während unserer Zeit in Zahle dürfen wir sie bei ihrer ehrenamtlichen Arbeit begleiten.
Noch bevor die Flüchtlingsströme in ihre Stadt kamen, wollte sie mit Vorträgen und praktischer Hilfe dazu beitragen, dass Ehen und Familien aufblühen. Als sich ringsum ihre Heimat notleidende Menschen niederließen, war ihr klar: Das ist jetzt meine Aufgabe. Gott will, dass ich in diese Menschen investiere. Als Syrierin gewann sie schnell ihr Vertrauen.
Ihre Leidenschaft für Familien blieb, aber nun war ihr erstes Anliegen das körperliche Wohl dieser mittellosen Menschen. Seit einigen Jahren wird sie durch die Organisation https://www.tyingvines.org/tyingvines-walk-with-me/ finanziell unterstützt. Dadurch konnte sie ihre Arbeit ausweiten.
Inzwischen hat sie an zwei Standorten außerhalb der Stadt Zahle kleine Zentren eingerichtet. Die Regierung erlaubt keine feste Bauten für die Flüchtlingsarbeit, also finden Aktivitäten hauptsächlich im Freien und in Baucontainern statt.
Neben regelmäßigen Veranstaltungen, zu denen wechselnde Menschen aus den Lagern eingeladen werden, entsteht eine kleine Ausbildungsstätte nach der anderen.
In einem Container wird eine wechselnde Gruppe von jungen Frauen für die Kosmetikbranche ausgebildet. Die Absolventinnen erhalten ein Zertifikat, mit dem sie eine Arbeitsstelle bekommen können. In einem weiteren Container nähen junge Mädchen und Frauen. Nach abgeschlossener Ausbildung wird ihnen eine Nähmaschine geschenkt. Nun können sie zum Familieneinkommen beitragen. In Planung ist ein Container mit Maschinen zur Holzbearbeitung, damit auch Männer eine Zukunftsperspektive bekommen.
Kleine Kinder besuchen an vier Tagen in der Woche eine Vorschule. Das Geld für den Gehalt der Lehrerin reicht nicht für fünf Wochentage. Im Zentrum bekommen sie nach dem Unterricht ein nahrhaftes Mittagessen.
Ein weiterer Container ist als kleine Arzt- und Zahnarztpraxis eingerichtet. Leider kommen nur selten ehrenamtliche Ärzte und Zahnärzte. Izdihars Problem sind die laufenden Kosten. Sie findet relativ schnell Sponsoren für ein einmaliges Projekt, aber das Auftreiben der monatlichen Gelder ist nicht immer leicht.
In den nächsten Tagen werde ich in mehreren kurzen Einblicken zeigen, wie Hilfe für den Einzelnen aussehen kann.
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